Nachdem sich mittlerweile durch einige Gerichtsurteile gezeigt hat, daß ein Schutz von
Computerprogrammen über das Urheberrecht wohl nur in den seltensten Fällen erfolgen kann,
gewinnt das Wettbewerbsrecht wieder an Bedeutung. Hiervon wird besonders die 1:1-
Übernahme und Vertrieb eines fremden Programms erfaßt; dies gilt zu Recht idR als
wettbewerbswidrig und damit unzulässig.
Nachdem in den Vereinigten Staaten schon seit einiger Zeit bestimmte Software-Hersteller für
das "look and feel" ihrer Erzeugnisse Rechtsschutz beanspruchen, ist nun auch bei uns eine
gerichtliche Entscheidung ergangen, die als ein Schritt in Richtung des Schutzes der
Benutzeroberfläche gewertet werden kann.
Diesem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22.7.88[1] liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Antragsstellerin (Ast.) und Antragsgegnerin (Ag.) bieten bundesweit Dienstleistungen im
Mailbox-Bereich an. Die Ast. produziert und vetreibt darüberhinaus Mailbox-
Computersysteme. Die Ag. hatte ursprünglich komplette Mailbox-Anlagen der Ast. erworben.
Hinsichtlich der Programme war in dem Vertrag bestimmt, daß diese nur auf mit bestimmten
Seriennummern versehenen Geräten benutzt werden durften. Später erwarb die Ag. von dritter
Seite andere Mailbox-Anlagen und hierfür entwickelte Programme. Sie benutzte jedoch die
Hilfstexte der Ast. weiter auf den neuen Anlagen. Außerdem verwendete sie den von der Ast.
entwickelten, besonders benutzerfreundlichen Befehlssatz mit lediglich geringfügigen
Änderungen auch in den neuen Programmen.
Die Ast. hielt dies für wettbewerbswidrig und beantragte beim Landgericht Hamburg den Erlaß
einer einstweiligen Verfügung, durch welche der Ag. die Verwendung der Hilfstexte und des
Befehlssatzes zu untersagt werden sollte. Das Landgericht verurteile die Ag. antragsgemäß.
Das Landgericht sah sowohl in der Verwendung der Hilfstexte als auch des Befehlssatzes eine wettbewerbsrechtlich unzulässige Übernahme fremder Leistungen. Zwar sei die unmittelbare Leistungsübernahme nicht schlechthin unzulässig; sie sei jedoch dann nicht mit dem Wettbewerbsrecht vereinbar, wenn das Erzeugnis des Erbringers der Erstleistung eine wettbewerbsrechtliche Eigenart aufweise und die Aneignung der fremden Leistung zum Schaden dessen geschieht, dem "billigerweise die Früchte davon zukommen müßten". Sowohl die Hilfstexte als auch der Befehlssatz wiesen die erforderliche wettbewerbsrechtliche Eigenart auf, nämlich Gestaltungsmerkmale, die geeignet sind, auf die betriebliche Herkunft des Erzeugnisses hinzuweisen; die Ast. sei infolge der Verwendung durch die Ag. um die Früchte ihrer Arbeit; hinsichtlich des Befehlssatzes ergebe sich dies auch daraus, daß der bislang einzigartige Befehlssatz nunmehr auch von einem anderen Anbieter angeboten werde.
Soweit die relevanten Entscheidungsgründe des rechtskräftig gewordenen Urteils. Klarstellend
sei noch angemerkt, daß die Ag. offensichtlich lediglich den Befehlssatz, nicht jedoch das
Bildschirmlayout übernommen und die Programme auch nicht kopiert hat.
Diese Entscheidung wird wahrscheinlich in den Vorstandsetagen einiger Software-Hersteller
begeisterte - möglicherweise jedoch verfrühte - Zustimmung finden. Zwar besteht die
Benutzeroberfläche nicht allein aus dem Befehlssatz, also der Art und Weise, wie die
Programmfunktionen ausgewählt werden. Wenn man jedoch bereits die Übernahme des
"handlings" als Verstoß gegen die guten Sitten im Wettbewerb ansieht, so wird dies erst recht
für die Übernahme der gesamten Benutzeroberfläche gelten.
Unabhängig von der Frage, ob ein strikter Schutz der Benutzeroberfläche sowohl aus der Sicht
der Hersteller als auch der Anwender überhaupt erstrebenswert ist, begegnet dieser auch
juristischen Bedenken. Diese sollen zusammen mit den entsprechenden Grundlagen des
Wettbewerbsrechts nachfolgend kurz skizziert werden.
Grundsätzlich geht unser Wettbewerbsrecht von der Zulässigkeit des Nachbaus oder des Imitierens fremder Produkte aus. Zulässig ist u.a. der Nachbau eines Saxophons oder von Einbau-Möbelleuchten, unzulässig dagegen z.B. die Nachahmung einer ganzen Kollektion von Möbel-Beschlagteilen. Eine Grenze ist definitiv erst dann erreicht, wenn der durch spezialgesetzliche Schutzrechte bewirkte Sonderschutz verletzt wird. Diese Schutzrechte sind nachfolgend grob skizziert:
Das Urhebergesetz (UrhG) regelt objektiv den Schutz kultureller Geistesschöpfungen und subjektiv die Berechtigung des Werkschöpfers, also des Urhebers. Die geschützten kulturellen Geisteswerke sind Werke der Literatur, Wissenschaft und Kunst. Geschützt ist allerdings entgegen einem weit verberiteten irrglauben nicht der Inhalt, also die schöpferische Leistung als solche, sondern die konkrete Ausgestaltung von Form und Inhalt. Ein Beispiel hilft beim Verständnis: Wenn ein Wissenschaftler eine revolutionäre Entdeckung in einem Buch beschreibt, so ist das Buch als Sprachwerk bzw. als Werk der Wissenschaft geschützt; die Entdeckung selbst ist dagegen frei und kann von jedermann verwertet werden. Daher ist auch der Schutz von Computerprogrammen über das Urheberrecht so überaus problematisch und faktisch nicht vorhanden, obwohl Computerprogramme 1985 in den Kreis der schützbaren Werke aufgenommen wurden.
Das Patentgesetz (PatG) hingegen schützt neue, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhende
und gewerblich anwendbare technische Erfindungen. Der Patentschutz ist also ein echter
Leistungsschutz. Bedauerlicherweise sind Computerprogramme "als solche" hiervon
ausdrücklich ausgenommen. Schützbar können sie sein, "wenn sie einen neuen, erfinderischen
Aufbau der Anlage lehren". In der Rechtsprechung und auf europäischer Ebene sind
mittlerweile Bemühungen erkennbar, den Patentschutz in größerem Umfang für Programme zu
eröffnen.
Das Gebrauchsmustergesetzt (GebrMG) ist eine Art "kleiner Bruder" des PatG; es hat den
Schutz von Erfindungen zum Ziel, welche die Gestaltung von Sachen betreffen, also
Erfindungen, deren Lehren sich in einer Raumform verwirklichen lassen. Insgesamt sind die
Anforderungen und Voraussetzungen für einen Schutz niedriger als beim Patentschutz. Auch
hier sind Computerprogramme ausdrücklich ausgenommen. Ein Beispiel für eine
gebrauchmusterrechtlich geschützte Erfindung ist ein technisch neuartiger Dosenöffner.
Der vom Geschmacksmustergesetz (GeschMG) erfaßte Bereich befindet sich auf der Grenze
zwischen den technischen Schutzrechten - PatG und GebrMG - und dem UrhG. Einerseits
schützt es gewerbliche Leistungen, andererseits hat es ästhetische Gestaltungen zum
Gegenstand. Geschmackmuster sind gewerblich verwertbare Flächen- und Raumformen, die
sich an den Farben- und Formensinn des Menschen wenden. Sie erschöpfen sich nicht im
Gebrauchszweck, sondern haben einen ästhetischen Überschuß. Der oben erwähnte
Dosenöffner kann auch ohne Gebrauchsmusterschutz geschmacksmusterrechtlich geschützt
sein, wenn er besonders gestylt ist, z.B. von einem bekannten italienischen Designer.
Das Warenzeichengesetz (WZG) schließlich schützt das von einem Gewerbetreibenden zur
Kennzeichnung seiner Ware verwendete Markenzeichen vor der Verwendung durdch Dritte.
Mit Ausnahme des Urheberrechtsschutzes, der bei Erreichen der erforderlichen "persönlich-
geistigen Schöpfungshöhe" entsteht, müssen die übrigen Schutzrecht nach dem PatG, GebrMG,
GeschMG und WZG angemeldet und eingetragen werden.
Solange ein Sonderschutz der betreffenden Leistung nach einem der augezählten
Spezialgesetze nicht besteht, muß bei Beurteilung des Umfangs des Leistungsschutzes nach
dem Wettbewerbsrecht immer berücksichtigt werden, daß der wettbewerbsrechtliche
Leistungschutz nur für Arbeitsergebnisse einschlägig sein kann, die gerade keinen
Sonderschutz beanspruchen können, dieser also durch das Wettbewerbsrecht nicht ersetzt
werden darf. Entsprechend freizügig sieht auch die Rechtsprechung selbst in der unmittelbaren
Leistungsübernahme nicht schlechthin einen Wettbewerbsverstoß. In jedem Fall müssen noch
besondere Unlauterkeitsmomente hinzutreten, die freilich bei einer unmittelbaren
Leistungsübernahme wesentlich geringer ausgeprägt sein brauchen als bei einer nur
nachschaffenden Übernahme. Stark vereinfacht kann man dies auf die Formel bringen, daß die
Leistungsübernahme dann unzulässig ist, wenn hierdurch der Erstleistende um die Früchte
seiner Arbeit gebracht wird, es ihm also hierdurch nicht mehr möglich ist, seinen
Entwicklungsaufwand zu amortisieren, weil der Konkurrent durch die Leistungsübernahme den
Vorsprung mangels Erfordernis entsprechender eigener Leistung sofort ausgleichen kann.
Eine unmittelbare Leistungsübernahme liegt vor, wenn ein fremdes Programm lediglich kopiert und vertrieben wird. Da hier der Konkurrent überhaupt keine eigene Leistung erbringen muß und der teuer erkaufte Entwicklungsvorteil des Erstanbieter unverzüglich ausgeglichen wird, stellt dies idR einen unzulässigen Wettbewerbsverstoß dar. Anders dagegen, wenn sich der Konkurrent an das Erstprodukt lediglich anlehnt, sich von diesem inspirieren läßt, und sein eigenes Programm entwickelt: Dies stellt - wenn überhaupt - nur eine nachschaffende Übernahme dar, die nur dann unzulässig ist, wenn ganz besondere unlautere Momente hinzutreten, die idR in der Art der Leistungsübernahme gefunden werden können. Die Übergänge sind selbstverständlich fließend, so daß ein pauschales Bild eines noch zulässigen Nachschaffens nicht gezeichnet werden kann.
Bei Computerprogrammen stellt man sehr schnell fest, daß selbst die Herstellung eines auch
nur funktional dem Orginal gleichwertigen Programms nahezu ebensoviel Leistung erfordert,
wie die Herstellung des Originals selbst. In verstärktem Maß gilt dies, wenn der
Programmierer auch die Benutzeroberfläche nachahmen will. Im Gegensatz zu sonstigen
technischen Produkten kann der Nachahmer das Programm nämlich nicht demontieren, um so
die einzelnen Teile relativ problemlos nachzubauen, da er allein aus dem Maschinenprogramm
den Hochsprachen-Quellcode nicht erschließen kann; er ist in der Situation eines
Auftragsprogrammierers, dem lediglich Verhalten und Funktionieren des Programms
vorgegeben ist.
Freilich braucht sich der Nachahmer nicht mehr um die Festlegung des Leistungsumfangs und
der angeblichen Benutzerfreundlichkeit zu kümmern. Dieser Vorteil kann jedoch m.E. nicht so
schwer wiegen, um die Neuherstellung eines Imitats dem einfachen Kopieren gleichzustellen.
Dies gilt i.ü. auch unter Berücksichtigung des Ausnutzens der Akzeptanz des imitierten
Programms, da allein schon infolge der Akzeptanz des Originals dessen Hersteller seine
Aufwendung amortisiert haben dürfte; hinzutritt die nicht unerhebliche Zeitdauer der
Programmentwicklung beim Nachahmer.
Betrachtet man nun des Befehlssatz eines Programms, also die Art, Funktionen auszulösen,
isoliert, so scheint dessen einfache Übernahme mit dem schlichten Kopieren eines Programms
vergleichbar zu sein. Die Frage - die sich das Landgericht allerdings nicht gestellt hat - ist
jedoch, ob man die Übernahme nur eines Teils eines Produkts ebenso wie das einfache
Kopieren des gesamten Produkts ohne eigene Leistung bewerten kann.
Hier ist zu beachten, daß auch beim einfachen, nur in den seltensten Fällen bedenklichen
Nachschaffen, also dem oben der unmittelbaren Leistungsübernahme gegenübergestellten und
sich durch den Einsatz eigener Leistung auszeichnenden Nachbauen, zwangsläufig ein Teil der
bei der Entwicklung der Vorlage entstandenen Arbeitsergebnisse kopiert wird, auch wenn das
fertige Produkt dem Original nicht in allen Einzelheiten gleicht. Wollte man jede unmittelbare
Übernahme eines Teils des Produkts als unmittelbare, schmarotzende Leistungsübernahme
werten, so hätte der Grundsatz der Freiheit des Nachschaffens keinen Bestand mehr. Man muß
daher darauf abstellen, ob zusätzlich noch eigene Leistungen in nicht bloß unerheblichem Maß
erforderlich sind, um zu dem fertigen Produkt zu gelangen.
Für die Übernahme lediglich des Befehlssatzes oder der Benutzeroberfläche gilt
dementsprechend, daß dies nur dann wettbewerbswidrig sein kann, wenn dieser von so
überragender Bedeutung ist, daß die Erstellung des Programms selbst dagegen zur
Bedeutungslosigkeit verblaßt. Nach dem derzeitigen Stand der Programmherstellung wird man
dies jedoch kaum bejahen können.
In jedem Fall jedoch ist zur Bejahung eines Wettbewerbsverstoßes durch Übernahme einer
Benutzeroberfläche faktisch erforderlich, daß es sich um funktional vergleichbare Programme
handelt, denn bei funktional verschiedenen Programmen - z.B. einem DFÜ-Programm und
einer Finanzbuchaltung - erleidet der Erstentwickler durch die Leistungsübernahme keine
Nachteile, da der Absatz seines Programms hierdurch nicht beeinträchtigt wird. Ausgenommen
hiervon sind jedoch Verstöße gegen warenzeichenrechtliche Bestimmungen oder eine
Schädigung des Erstherstellers durch Verbreitung minderwertiger Ware, die diesem
zugerechnet wird und dadurch den Erfolg dessen Produkte beeinträchtigt.
Dies hat zur Folge, daß kein Software-Hersteller z.B. das Konzept der Windows für sich
reklamieren kann.
Berücksichigt man letztlich auch das Interesse der Allgemeinheit, nämlich der Anwender, an einfach und nach Möglichkeit einheitlich bedienbaren Programmen, so ist m.E. ein umfassender Schutz der Benutzeroberfläche über das Wettbewerbsrecht nicht zu erreichen.
Literatur/Rechtsprechungsnachweise:
[1] Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22.7.88, Aktenzeichen 74 O 253/88, abgedruckt in Computer und Recht 1989 S.697