DR. KÖNIG & COLL.

RECHTSANWÄLTE


Abhandlung zum EDV-Recht

Der Schutz der Benutzeroberfläche (Original und Nachahmung)

von RA Dr. M. Michael König

Nachdem sich mittlerweile durch einige Gerichtsurteile gezeigt hat, daß ein Schutz von Computerprogrammen über das Urheberrecht wohl nur in den seltensten Fällen erfolgen kann, gewinnt das Wettbewerbsrecht wieder an Bedeutung. Hiervon wird besonders die 1:1- Übernahme und Vertrieb eines fremden Programms erfaßt; dies gilt zu Recht idR als wettbewerbswidrig und damit unzulässig.
Nachdem in den Vereinigten Staaten schon seit einiger Zeit bestimmte Software-Hersteller für das "look and feel" ihrer Erzeugnisse Rechtsschutz beanspruchen, ist nun auch bei uns eine gerichtliche Entscheidung ergangen, die als ein Schritt in Richtung des Schutzes der Benutzeroberfläche gewertet werden kann.

Diesem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22.7.88[1] liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Antragsstellerin (Ast.) und Antragsgegnerin (Ag.) bieten bundesweit Dienstleistungen im Mailbox-Bereich an. Die Ast. produziert und vetreibt darüberhinaus Mailbox- Computersysteme. Die Ag. hatte ursprünglich komplette Mailbox-Anlagen der Ast. erworben. Hinsichtlich der Programme war in dem Vertrag bestimmt, daß diese nur auf mit bestimmten Seriennummern versehenen Geräten benutzt werden durften. Später erwarb die Ag. von dritter Seite andere Mailbox-Anlagen und hierfür entwickelte Programme. Sie benutzte jedoch die Hilfstexte der Ast. weiter auf den neuen Anlagen. Außerdem verwendete sie den von der Ast. entwickelten, besonders benutzerfreundlichen Befehlssatz mit lediglich geringfügigen Änderungen auch in den neuen Programmen.
Die Ast. hielt dies für wettbewerbswidrig und beantragte beim Landgericht Hamburg den Erlaß einer einstweiligen Verfügung, durch welche der Ag. die Verwendung der Hilfstexte und des Befehlssatzes zu untersagt werden sollte. Das Landgericht verurteile die Ag. antragsgemäß.

Das Landgericht sah sowohl in der Verwendung der Hilfstexte als auch des Befehlssatzes eine wettbewerbsrechtlich unzulässige Übernahme fremder Leistungen. Zwar sei die unmittelbare Leistungsübernahme nicht schlechthin unzulässig; sie sei jedoch dann nicht mit dem Wettbewerbsrecht vereinbar, wenn das Erzeugnis des Erbringers der Erstleistung eine wettbewerbsrechtliche Eigenart aufweise und die Aneignung der fremden Leistung zum Schaden dessen geschieht, dem "billigerweise die Früchte davon zukommen müßten". Sowohl die Hilfstexte als auch der Befehlssatz wiesen die erforderliche wettbewerbsrechtliche Eigenart auf, nämlich Gestaltungsmerkmale, die geeignet sind, auf die betriebliche Herkunft des Erzeugnisses hinzuweisen; die Ast. sei infolge der Verwendung durch die Ag. um die Früchte ihrer Arbeit; hinsichtlich des Befehlssatzes ergebe sich dies auch daraus, daß der bislang einzigartige Befehlssatz nunmehr auch von einem anderen Anbieter angeboten werde.

Soweit die relevanten Entscheidungsgründe des rechtskräftig gewordenen Urteils. Klarstellend sei noch angemerkt, daß die Ag. offensichtlich lediglich den Befehlssatz, nicht jedoch das Bildschirmlayout übernommen und die Programme auch nicht kopiert hat.
Diese Entscheidung wird wahrscheinlich in den Vorstandsetagen einiger Software-Hersteller begeisterte - möglicherweise jedoch verfrühte - Zustimmung finden. Zwar besteht die Benutzeroberfläche nicht allein aus dem Befehlssatz, also der Art und Weise, wie die Programmfunktionen ausgewählt werden. Wenn man jedoch bereits die Übernahme des "handlings" als Verstoß gegen die guten Sitten im Wettbewerb ansieht, so wird dies erst recht für die Übernahme der gesamten Benutzeroberfläche gelten.
Unabhängig von der Frage, ob ein strikter Schutz der Benutzeroberfläche sowohl aus der Sicht der Hersteller als auch der Anwender überhaupt erstrebenswert ist, begegnet dieser auch juristischen Bedenken. Diese sollen zusammen mit den entsprechenden Grundlagen des Wettbewerbsrechts nachfolgend kurz skizziert werden.

Grundsätzlich geht unser Wettbewerbsrecht von der Zulässigkeit des Nachbaus oder des Imitierens fremder Produkte aus. Zulässig ist u.a. der Nachbau eines Saxophons oder von Einbau-Möbelleuchten, unzulässig dagegen z.B. die Nachahmung einer ganzen Kollektion von Möbel-Beschlagteilen. Eine Grenze ist definitiv erst dann erreicht, wenn der durch spezialgesetzliche Schutzrechte bewirkte Sonderschutz verletzt wird. Diese Schutzrechte sind nachfolgend grob skizziert:

Das Urhebergesetz (UrhG) regelt objektiv den Schutz kultureller Geistesschöpfungen und subjektiv die Berechtigung des Werkschöpfers, also des Urhebers. Die geschützten kulturellen Geisteswerke sind Werke der Literatur, Wissenschaft und Kunst. Geschützt ist allerdings entgegen einem weit verberiteten irrglauben nicht der Inhalt, also die schöpferische Leistung als solche, sondern die konkrete Ausgestaltung von Form und Inhalt. Ein Beispiel hilft beim Verständnis: Wenn ein Wissenschaftler eine revolutionäre Entdeckung in einem Buch beschreibt, so ist das Buch als Sprachwerk bzw. als Werk der Wissenschaft geschützt; die Entdeckung selbst ist dagegen frei und kann von jedermann verwertet werden. Daher ist auch der Schutz von Computerprogrammen über das Urheberrecht so überaus problematisch und faktisch nicht vorhanden, obwohl Computerprogramme 1985 in den Kreis der schützbaren Werke aufgenommen wurden.

Das Patentgesetz (PatG) hingegen schützt neue, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruhende und gewerblich anwendbare technische Erfindungen. Der Patentschutz ist also ein echter Leistungsschutz. Bedauerlicherweise sind Computerprogramme "als solche" hiervon ausdrücklich ausgenommen. Schützbar können sie sein, "wenn sie einen neuen, erfinderischen Aufbau der Anlage lehren". In der Rechtsprechung und auf europäischer Ebene sind mittlerweile Bemühungen erkennbar, den Patentschutz in größerem Umfang für Programme zu eröffnen.
Das Gebrauchsmustergesetzt (GebrMG) ist eine Art "kleiner Bruder" des PatG; es hat den Schutz von Erfindungen zum Ziel, welche die Gestaltung von Sachen betreffen, also Erfindungen, deren Lehren sich in einer Raumform verwirklichen lassen. Insgesamt sind die Anforderungen und Voraussetzungen für einen Schutz niedriger als beim Patentschutz. Auch hier sind Computerprogramme ausdrücklich ausgenommen. Ein Beispiel für eine gebrauchmusterrechtlich geschützte Erfindung ist ein technisch neuartiger Dosenöffner.
Der vom Geschmacksmustergesetz (GeschMG) erfaßte Bereich befindet sich auf der Grenze zwischen den technischen Schutzrechten - PatG und GebrMG - und dem UrhG. Einerseits schützt es gewerbliche Leistungen, andererseits hat es ästhetische Gestaltungen zum Gegenstand. Geschmackmuster sind gewerblich verwertbare Flächen- und Raumformen, die sich an den Farben- und Formensinn des Menschen wenden. Sie erschöpfen sich nicht im Gebrauchszweck, sondern haben einen ästhetischen Überschuß. Der oben erwähnte Dosenöffner kann auch ohne Gebrauchsmusterschutz geschmacksmusterrechtlich geschützt sein, wenn er besonders gestylt ist, z.B. von einem bekannten italienischen Designer.

Das Warenzeichengesetz (WZG) schließlich schützt das von einem Gewerbetreibenden zur Kennzeichnung seiner Ware verwendete Markenzeichen vor der Verwendung durdch Dritte.
Mit Ausnahme des Urheberrechtsschutzes, der bei Erreichen der erforderlichen "persönlich- geistigen Schöpfungshöhe" entsteht, müssen die übrigen Schutzrecht nach dem PatG, GebrMG, GeschMG und WZG angemeldet und eingetragen werden.
Solange ein Sonderschutz der betreffenden Leistung nach einem der augezählten Spezialgesetze nicht besteht, muß bei Beurteilung des Umfangs des Leistungsschutzes nach dem Wettbewerbsrecht immer berücksichtigt werden, daß der wettbewerbsrechtliche Leistungschutz nur für Arbeitsergebnisse einschlägig sein kann, die gerade keinen Sonderschutz beanspruchen können, dieser also durch das Wettbewerbsrecht nicht ersetzt werden darf. Entsprechend freizügig sieht auch die Rechtsprechung selbst in der unmittelbaren Leistungsübernahme nicht schlechthin einen Wettbewerbsverstoß. In jedem Fall müssen noch besondere Unlauterkeitsmomente hinzutreten, die freilich bei einer unmittelbaren Leistungsübernahme wesentlich geringer ausgeprägt sein brauchen als bei einer nur nachschaffenden Übernahme. Stark vereinfacht kann man dies auf die Formel bringen, daß die Leistungsübernahme dann unzulässig ist, wenn hierdurch der Erstleistende um die Früchte seiner Arbeit gebracht wird, es ihm also hierdurch nicht mehr möglich ist, seinen Entwicklungsaufwand zu amortisieren, weil der Konkurrent durch die Leistungsübernahme den Vorsprung mangels Erfordernis entsprechender eigener Leistung sofort ausgleichen kann.

Eine unmittelbare Leistungsübernahme liegt vor, wenn ein fremdes Programm lediglich kopiert und vertrieben wird. Da hier der Konkurrent überhaupt keine eigene Leistung erbringen muß und der teuer erkaufte Entwicklungsvorteil des Erstanbieter unverzüglich ausgeglichen wird, stellt dies idR einen unzulässigen Wettbewerbsverstoß dar. Anders dagegen, wenn sich der Konkurrent an das Erstprodukt lediglich anlehnt, sich von diesem inspirieren läßt, und sein eigenes Programm entwickelt: Dies stellt - wenn überhaupt - nur eine nachschaffende Übernahme dar, die nur dann unzulässig ist, wenn ganz besondere unlautere Momente hinzutreten, die idR in der Art der Leistungsübernahme gefunden werden können. Die Übergänge sind selbstverständlich fließend, so daß ein pauschales Bild eines noch zulässigen Nachschaffens nicht gezeichnet werden kann.

Bei Computerprogrammen stellt man sehr schnell fest, daß selbst die Herstellung eines auch nur funktional dem Orginal gleichwertigen Programms nahezu ebensoviel Leistung erfordert, wie die Herstellung des Originals selbst. In verstärktem Maß gilt dies, wenn der Programmierer auch die Benutzeroberfläche nachahmen will. Im Gegensatz zu sonstigen technischen Produkten kann der Nachahmer das Programm nämlich nicht demontieren, um so die einzelnen Teile relativ problemlos nachzubauen, da er allein aus dem Maschinenprogramm den Hochsprachen-Quellcode nicht erschließen kann; er ist in der Situation eines Auftragsprogrammierers, dem lediglich Verhalten und Funktionieren des Programms vorgegeben ist.
Freilich braucht sich der Nachahmer nicht mehr um die Festlegung des Leistungsumfangs und der angeblichen Benutzerfreundlichkeit zu kümmern. Dieser Vorteil kann jedoch m.E. nicht so schwer wiegen, um die Neuherstellung eines Imitats dem einfachen Kopieren gleichzustellen. Dies gilt i.ü. auch unter Berücksichtigung des Ausnutzens der Akzeptanz des imitierten Programms, da allein schon infolge der Akzeptanz des Originals dessen Hersteller seine Aufwendung amortisiert haben dürfte; hinzutritt die nicht unerhebliche Zeitdauer der Programmentwicklung beim Nachahmer.

Betrachtet man nun des Befehlssatz eines Programms, also die Art, Funktionen auszulösen, isoliert, so scheint dessen einfache Übernahme mit dem schlichten Kopieren eines Programms vergleichbar zu sein. Die Frage - die sich das Landgericht allerdings nicht gestellt hat - ist jedoch, ob man die Übernahme nur eines Teils eines Produkts ebenso wie das einfache Kopieren des gesamten Produkts ohne eigene Leistung bewerten kann.
Hier ist zu beachten, daß auch beim einfachen, nur in den seltensten Fällen bedenklichen Nachschaffen, also dem oben der unmittelbaren Leistungsübernahme gegenübergestellten und sich durch den Einsatz eigener Leistung auszeichnenden Nachbauen, zwangsläufig ein Teil der bei der Entwicklung der Vorlage entstandenen Arbeitsergebnisse kopiert wird, auch wenn das fertige Produkt dem Original nicht in allen Einzelheiten gleicht. Wollte man jede unmittelbare Übernahme eines Teils des Produkts als unmittelbare, schmarotzende Leistungsübernahme werten, so hätte der Grundsatz der Freiheit des Nachschaffens keinen Bestand mehr. Man muß daher darauf abstellen, ob zusätzlich noch eigene Leistungen in nicht bloß unerheblichem Maß erforderlich sind, um zu dem fertigen Produkt zu gelangen.
Für die Übernahme lediglich des Befehlssatzes oder der Benutzeroberfläche gilt dementsprechend, daß dies nur dann wettbewerbswidrig sein kann, wenn dieser von so überragender Bedeutung ist, daß die Erstellung des Programms selbst dagegen zur Bedeutungslosigkeit verblaßt. Nach dem derzeitigen Stand der Programmherstellung wird man dies jedoch kaum bejahen können.

In jedem Fall jedoch ist zur Bejahung eines Wettbewerbsverstoßes durch Übernahme einer Benutzeroberfläche faktisch erforderlich, daß es sich um funktional vergleichbare Programme handelt, denn bei funktional verschiedenen Programmen - z.B. einem DFÜ-Programm und einer Finanzbuchaltung - erleidet der Erstentwickler durch die Leistungsübernahme keine Nachteile, da der Absatz seines Programms hierdurch nicht beeinträchtigt wird. Ausgenommen hiervon sind jedoch Verstöße gegen warenzeichenrechtliche Bestimmungen oder eine Schädigung des Erstherstellers durch Verbreitung minderwertiger Ware, die diesem zugerechnet wird und dadurch den Erfolg dessen Produkte beeinträchtigt.
Dies hat zur Folge, daß kein Software-Hersteller z.B. das Konzept der Windows für sich reklamieren kann.

Berücksichigt man letztlich auch das Interesse der Allgemeinheit, nämlich der Anwender, an einfach und nach Möglichkeit einheitlich bedienbaren Programmen, so ist m.E. ein umfassender Schutz der Benutzeroberfläche über das Wettbewerbsrecht nicht zu erreichen.

Literatur/Rechtsprechungsnachweise:

[1] Urteil des Landgerichts Hamburg vom 22.7.88, Aktenzeichen 74 O 253/88, abgedruckt in Computer und Recht 1989 S.697

Dieser Beitrag ist in bearbeiteter Form in cīt 1/1990 S.52 erschienen. Er gibt die Rechtslage und Meinung des Verfassers zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder. Wir danken dem Verlag für die freundliche Genehmigung der weiteren Veröffentlichung.

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