DR. KÖNIG & COLL.

RECHTSANWÄLTE


Gerichtsreport: Neue Gerichtsentscheidungen zum EDV-Recht

Haftung der Eltern für Urheberrechtsverletzungen durch ihre Kinder II

von RAuN und FA IT-Recht Dr. M. Michael König

Nach wie vor beschäftigt der illegale download von Musikdateien bzw. deren Vervielfältigung und Verbreitung über filesharing-Systeme und "Musiktausch"- Börsen insbesondere durch Minderjährige die Gerichte. Eine neue Entscheidung des OLG Köln stellt recht hohe Anforderungen an die Aufsichtspflicht der Eltern.

Im Jahr 2009 hat das OLG Köln durch eine Entscheidung für Aussehen erregt, mit der es die Verurteilung der Mutter eines Minderjährigen zur Zahlung von Abmahnkosten bestätigt hat. Nach Meinung des Vorinstanz, des Landgerichts Köln, das sich an der Rechtsprechung des LG Hamburg orientiert hatte, sei die Mutter ihrer Überwachungs- und Kontrollpflicht Pflichten nicht nachgekommen. Ein einfaches Verbot, Musik aus dem Internet downzuloaden, sei nicht ausreichend gewesen. Sie hätte konkrete und wirksame Maßnahmen ergreifen müssen, um die erfolgten Rechtsverletzungen zu verhindern - etwa durch Einrichten von Benutzeraccounts mit beschränkten Rechten oder einer Firewall, die den download von Dateien von ihrem Rechner verhindert hätte.
Das Oberlandesgericht Köln hatte zwar offen gelassen, ob es - wie die Vorinstanz - der strengen Auffassung des Landgerichts Hamburg folgen oder eher wie das Oberlandesgericht Frankfurt grundsätzlich nicht von einer Kontroll- und Überwachungspflicht ausgehen wolle. Es hatte sich aber der Frankfurter Meinung zur "sekundären Darlegungslast" angeschlossen und von der Mutter gefordert, daß sie sich konkret zu den möglichen Verantwortlichen äußert. Dies hatte die Mutter aber nicht getan: Zu der auch vom OLG Köln ausdrücklich angesprochenen Benutzung ihres Internetzugangs durch ihren Ehemann hatte sie sich "in beiden Instanzen vollständig ausgeschwiegen". Das OLG hatte es als nicht völlig fernliegend angesehen, daß ihr Ehemann verantwortlich sein könnte, da bei den rund tausend betroffenen Musikwerken viele ältere Titel seien, hatte es mangels weiterer Angaben es aber offen lassen müssen, ob die Mutter ihre Augen davor verschlossen hatte, daß ihr Ehemann ihren Internetzugang auf diese Weise benutzt hatte. Auch zu den als Handelnde in Betracht kommenden Kindern hatte sie nichts vorgetragen. Das Oberlandesgericht Köln hatte ihren Vortrag zu den möglichen Handelnden daher als insgesamt unzureichend angesehen und somit ihre Eigenhaftung als Störer bejaht. Allerdings hätte die Mutter auch nach Meinung des OLG Köln nicht in dem erforderlichen Maß ihren Kontrollpflichten genügt. Allein ein gegenüber 10- und 13-jährigen Jungs ausgesprochenes Verbot, an Tauschbörsen teilzunehmen, sei nicht ausreichend gewesen. Gerade weil die Mutter mit dem PC nicht hatte umgehen können, hätten ihre Kinder keine Kontrollen zu befürchten haben, so daß das ausgesprochene Verbot sanktionslos gewesen sei, die Kinder also ohne Beschränkung über den Internetzugang hätten verfügen konnten. Eine entsprechende Sanktion sei nach Meinung des Oberlandesgerichts Köln aber auch dann erforderlich gewesen, wenn die Kinder noch nicht einschlägig aufgefallen gewesen waren, und allein ein Verbot nicht ausreichend[1].

Die aktuelle Entscheidung des OLG Köln vom 28.3.2012[3] geht darüber deutlich hinaus. Dieser Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Die vier zu den größten deutschen Tonträgerherstellern gehörenden Klägerinnen machten Schadensersatzansprüche und den Ersatz von Abmahnkosten gegen ein Elternpaar, eines Chefarztes und seiner Ehefrau, mit der Begründung geltend, von deren Internetzugang aus seien 1.147 Audiodateien zum kostenlosen Download in einer Tauschbörse öffentlich zugänglich gemacht worden.
Diese Klage stützte sich auf eine Durchsuchung der Wohnung des Ehepaars, bei der der PC ihres damals 13-jährigen Sohnes M. beschlagnahmt worden ist. Auf dem Desktop dieses Computers befand sich die Programmsymbole von zwei Filesharing-Programmen. Außerdem waren Ordner unter den Bezeichnungen "My Music" und "Papas Music" eingerichtet.
Der Sohn der Beklagten hatte bei seiner polizeilichen Anhörung erklärt:

"Ich wusste nicht, dass das so schlimm ist. Ich konnte mir auch gar nicht vorstellen, erwischt zu werden."

Außerdem hatte er eingestanden, daß er die Filesharing-Programme bereits im Oktober 2006 installiert hatte.
Nach einer entsprechenden Abmahnung hatten die Eltern eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abgegeben, die Zahlung von Schadensersatz und die Erstattung der entstandenen Abmahnkosten aber abgelehnt.
Eine entsprechende Zahlungsklage vor dem Landgericht Köln war erfolgreich. Die Eltern wurden antragsgemäß als Gesamtschuldner verurteilt, im Hinblick auf die Zugänglichmachung von 15 bestimmten Musiktiteln an die einzelnen Klägerinnen Schadensersatz in unterschiedlicher Höhe von insgesamt 3.000,00 € zu leisten sowie Abmahnkosten in Höhe von 2.380,80 € zu erstatten, und zwar jeweils nebst Zinsen.

Die Berufung der Beklagten hatte keinen Erfolg; dabei hatte das OLG Köln mehrere Problembereiche zu klären.

Zunächst war die Frage der Aktivlegitimation der Klägerinnen zu beantworten, also ob die Klägerinnen überhaupt Inhaberinnen und Nutzungs- und Verwertungsrechte an den 15 Musiktiteln waren, die sie sich in der Klage im Einzelnen zugeordnet hatten. Dies hat das OLG Köln letztlich allein unter Verweis auf eine bestimmte Datenbank, dem zentralen Einkaufskatalog für den Handel, bejaht. Das OLG Köln verwies auf eine frühere Entscheidung, in der es bereits die Meinung vertreten hatte, daß die Eintragungen in dieser Datenbank ein erhebliches Indiz für die Rechteinhaberschaft darstelle[4]. Dieses Indiz löse die Obliegenheit der in Anspruch genommenen Beklagten aus, konkrete Zweifel an der Aktivlegitimation der dort ausgewiesenen Unternehmen anzuführen, und führe dazu, daß die Rechtekette an den einzelnen Titeln nur dann von Klägerseite dargelegt werden müsse, wenn der als Verletzer in Anspruch genommene über ein pauschales Bestreiten hinaus konkret vortrage, daß es sich bei dem beanstandeten Titel um eine abweichende Version handele oder ihm Nutzungsrechte an dem Titel von dritter Seite angeboten worden seien. Derartige Zweifel ergaben sich für die Richter des OLG Köln nicht aus der Bezeichnung der Kläger als "Lieferant" in der Datenbank. Denn diese Datenbank diene dem Handel zur Abwicklung von Bestellvorgängen und Rechnungen über Bestellungen einzelner Tonträger, so daß es nahe liege, in diesem Zusammenhang die Rechteinhaber als "Lieferanten" zu bezeichnen.
Unerheblich sei nach Meinung des OLG Köln der Einwand der Beklagten, daß sie weder Einfluß auf den Datenbank noch Zugriff auf diese hätten; in Ansehung der Eintragung der Klägerinnen könnten sie deren Rechteinhaberschaft auch nicht mit Nichtwissen bestreiten. Es obliege ihnen, im einzelnen Besonderheiten darzulegen, aus denen auf eine Unrichtigkeit der Eintragung geschlossen werden könnte.
Unerheblich sei auch, ob die Klägerinnen auch in den ID3-Tags der Musikdateien als Tonträgerherstellerinnen benannt werden. Selbst wenn dies, wie von den Beklagen eingewendet, nicht der Fall sein, so würde dies an der Vermutungswirkung der Eintragung in der Datenbank nichts ändern. Den Eintragungen in den ID3-Tags könne zwar eine indizielle Wirkung zu Gunsten der Rechtsinhaberschaft der dort Genannten zukommen, aus ihrem späteren Fehlen könnten aber keine relevanten Schlüsse gezogen werden, weil die Daten in den ID3-Tags dort nachträglich veränderbar sind.
Es sei auch nicht erforderlich, die Rechteinhaberschaft hinsichtlich alle 1.147 angebotener Musikdateien zu klären, denn die Klägerinnen hatten ausdrücklich Rechte nur bezogen auf 15 aus der Anzahl von 1.147 Dateien ausgewählte Musiktitel geltend gemacht und hinsichtlich dieser zur ihrer Aktivlegitimation auf wie erörtert konkret vorgetragen

Zu klären war dann die Tathandlung, also ob die 15 streitgegenständlichen Musiktitel von dem Internet-Anschluss der Beklagten aus durch Teilnahme an der Tauschbörse öffentlich zugänglich gemacht wurden. Auch hier hat das OLG Köln die Feststellungen der Vorinstanz bestätigt, die sich darauf stützten, daß auf dem PC des damals 13-jährigen Sohnes M. der Beklagten die beiden Filesharing- Programme gefunden worden und allein in dem Ordner "My W." 11,2 Gigabite Musik- und Videodaten gespeichert waren. Dies bestätige, dass von jenem PC aus an dem Filesharing-Programm teilgenommen worden ist. Außerdem hat der Sohn der Beklagten bei seiner polizeilichen Anhörung erklärt:

"Ich wusste nicht, dass das so schlimm ist. Ich konnte mir auch gar nicht vorstellen, erwischt zu werden."

Auf die Grundlage billigte das OLG Köln die Auffassung des Landgerichts, daß auch ohne konkret vorgetragene Einzelheiten von einer Rechtsverletzung an den fraglichen Titeln, die sämtlich auf der Festplatte des Sohns der Beklagten gefunden wurden, auszugehen sei.
Unerheblich seien daher Unterschiede in den Zeitangaben von Bildschirmausdrucken sowie das Bestreiten der ordnungsgemäßen Ermittlung der IP-Adresse. Denn für ein erhebliches Bestreiten sei hier kein Raum, da die Beschlagnahme und die Äußerung des Sohnes der Beklagten die - im erheblichen Umfang durchgeführte - Teilnahme an Tauschbörsen bestätigte.

Der dritte Problemkreis betraf die Haftung der Beklagten.

Das OLG Köln bezog sich zunächst auf die Rechtsprechung des Bundesgerichthofs, nach der eine tatsächliche Vermutung zu Gunsten des Rechteinhabers besteht, daß Rechtsverletzungen, die von einem bestimmten Anschluß aus vorgenommen worden sind, von dem Inhaber dieses Anschlusses begangen wurden. Dessen Haftung - hier die beider Beklagten - entfalle danach nur dann, wenn Tatsachen dargelegt und gegebenenfalls bewiesen werden, aus denen sich eine ernsthafte Möglichkeit eines abweichenden Geschehensablaufs ergeben. Das bedeutet, daß konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen müssen, daß nicht die Beklagten selbst, sondern ein Dritter von dem PC aus an der Tauschbörse teilgenommen und dabei die Rechtsverletzungen vorgenommen hat. Aufgrund der geständnisartigen Äußerungen des Sohnes der Beklagten war der Entscheidung zu Grunde zu legen, daß dieser sich an der Tauschbörse beteiligt und so Musiktitel öffentlich zugänglich gemacht hatte. Auch wenn sich diese 15 streitgegenständlichen Musiktitel bereits bei Überlassung des PCs an den Sohn der Beklagten auf diesem befunden hatten, so traf die Beklagten als Eltern nach Meinung des OLG Köln der aus § 832 Abs. 1 BGB resultierende Vorwurf der Aufsichtspflichtverletzung, aufgrund dessen sie in vollem Umfange für den Schaden einzustehen hätten, der durch die öffentliche Zugänglichmachung der 15 von den Klägerinnen zum Gegenstand des vorliegenden Verfahrens gemachten Titel durch ihren Sohn entstanden ist. Das wäre nur anders, wenn sie ihrer Aufsichtspflicht genügt hätten oder der Schaden auch bei der gebotenen Aufsichtsführung entstanden wäre. Dies hat das OLG aber verneint.

Das OLG Köln hat zwar zugestanden, daß auf der Grundlage des Vortrages der Beklagten naheliege, daß diese den zu stellenden Anforderungen durch Installation einer Firewall und eines Security-Programms sowie durch monatliche Überprüfung des PC nachgekommen seien.
Im Ergebnis ging das OLG aber davon aus, daß die Umsetzung dieser Maßnahmen nicht hinreichend gewesen sei. Denn andernfalls wäre es nicht möglich gewesen, daß die Installation der Filesharing-Programme hätte erfolgen können, und ungeachtet der Ungeeignetheit, allein den - manipulierbaren - "Verlauf " des Browser zu kontrollieren, wäre bei eine Überprüfung der auf dem Rechner des Sohnes installierten Programme über die Windows-Systemsteuerung möglich gewesen, die unter anderem eine Übersicht über die auf dem Rechner vorhandene Software bietet. Außerdem hätte sogar schon eine bloße Kontrolle des Desktops genügt, auf dem die jeweiligen Icons der beiden Filesharing-Programme abgelegt waren. Da die Programme eingestandenermaßen spätestens Anfang Oktober 2006 bereits installiert worden waren, hätte dies den Beklagten vor dem Herunterladen der hier streitgegenständlichen 15 Musikdateien durch deren Sohn im Januar 2007 bei den behaupteten monatlichen Kontrollen - sei es des Desktops oder der Softwareliste - auffallen müssen. Nach Meinung des OLG sei das Nichtauffinden beider seit Herbst 2006 installierter Tauschbörsenprogramme ein deutliches Indiz dafür, daß die angeblichen Kontrollmaßnahmen nicht zuverlässig durchgeführt worden sein könnten.

Auch die je Titel angesetzten 200,- € Schadensersatz seien hinsichtlich der Höhe begründet. Deren Berechnung auf der Grundlage der Lizenzanalogie nach § 97 Abs. 2 UrhG sei nicht bestanden, und zwar insbesondere auch deswegen, weil die Berechnung des Schadensersatzes nach der Lizenzanalogie bereits früher dem deutschen Recht entsprach.
Der Einwand der Beklagten, eine Schadensberechnung nach der Lizenzanalogie komme nur in Betracht, wenn die Höhe des tatsächlich konkret verursachten Schadens schwierig zu beziffern wäre, was hier nicht der Fall sei, greife nicht durch. Denn der Erwägungsgrund 26 der Durchsetzungsrichtlinie besagt:

"Um den Schaden auszugleichen, den ein Verletzer von Rechten des geistigen Eigentums verursacht hat, der wusste oder vernünftigerweise hätte wissen müssen, dass er eine Verletzungshandlung vornahm, sollten bei der Festsetzung der Höhe des an den Rechtsinhaber zu zahlenden Schadensersatzes alle einschlägigen Aspekte berücksichtigt werden, wie z.B. Gewinneinbußen des Rechtsinhabers oder zu Unrecht erzielte Gewinne des Verletzers sowie gegebenenfalls der immaterielle Schaden, der dem Rechtsinhaber entstanden ist. Ersatzweise, etwa wenn die Höhe des tatsächlich verursachten Schadens schwierig zu beziffern wäre, kann die Höhe des Schadens aus Kriterien wie z.B. der Vergütung oder den Gebühren, die der Verletzer hätte entrichten müssen, wenn er die Erlaubnis zur Nutzung des besagten Rechts eingeholt hätte, abgeleitet werden."

Nach Meinung des OLG sei die Formulierung "ersatzweise, etwa wenn ..." nicht dahin zu verstehen, daß die weiter angesprochene Berechnungsmethode nur dann einschlägig sei, wenn der konkrete Schaden nicht leicht zu beziffern wäre, sondern bedeute lediglich, daß die weiter eröffneten Berechnungsmethoden sich dann anbieten, wenn eine konkrete Schadensberechnung nicht einfach ist. Außerdem umfasse der Schadenersatz nicht lediglich der Betrag, der für eine einmalige Lizenzierung des Herunterladens der in Rede stehenden Titel durch den Sohn der Beklagten zu zahlen wäre, sondern auch auf den weitergehenden Schaden, der durch die Eröffnung des Zugriffs auf die Titel durch ein unübersehbare Zahl weiterer Nutzer entstanden ist - was offensichtlich nicht leicht zu beziffern sei.

Da bei der Berechnung des Schadens nach der Lizenzanalogie der Abschluß eines Lizenzvertrages zu angemessenen Bedingungen fingiert wird, sah das OLG Köln grundsätzlich den damals in der Branche verwendeten GEMA-Tarif VR-OD 5 als verwendbar an. Dieser erfaßte auch die Nutzung einzelner Titel durch Download aus dem Internet und sah für ein Werk mit einer Spieldauer von bis zum 5 Minuten eine Mindestvergütung von 0,1278 € pro Zugriff vor. Maßgeblich sei aber auch, daß in der Tonträger-Branche über den Betrag von 0,1278 € hinaus für den einzelnen Zugriff deutlich höhere Beträge vereinbart würden. Aus einer von den Klägerinnen vorgelegten Rahmenvereinbarung für die Lizenzierung an legale Download-Plattformen ergaben sich Einzelbeträge zwischen 0,50 € und 0,92 €. Das OLG sah deren Heranziehung hier deswegen als naheliegend an, weil durch die illegale Verbreitung ein zumindest vergleichbares und tatsächlich sogar deutlich höheres Ausmaß an Eingriffen in die Rechte der Rechteinhaber erfolge, wie durch die Lizenzierung an Downloadplattformbetreiber wie musicload oder itunes, die gegen Entgelt das Recht erhalten, ihrerseits die Titel zahlungspflichtigen Interessenten zugänglich zu machen.
Auf dieser Grundlage hat das OLG Köln gemäß § 287 ZPO den Schaden auf einen Betrag von 200 € pro Titel geschätzt. Denn zu berücksichtigen war auch, wie häufig aufgrund dieser Beteiligung des Sohnes der Beklagten an der Tauschbörse von unbekannten Dritten auf die geschützten Titel zugegriffen worden ist. Dabei müßten die Klägerinnen die Anzahl der Zugriffe weder konkret darzulegen noch beweisen, denn solche Zugriffszahlen werden in peer-to-peer-Netzwerken an keiner Stelle protokolliert könne daher gar nicht vorgetragen werden, so daß es im Rahmen des § 287 ZPO genüge, die Größenordnung der möglichen Zugriffe darzulegen. Das OLG war hier von wenigstens 400 Zugriffen überzeugt, die bei Zugrundelegen des niedrigsten Einzelbetrags für die eingeklagten 200,- € je Titel erforderlich waren. Die Klägerinnen hatte hierzu die Ergebnisse von einem entsprechenden Test mit einem vergleichbar attraktiven Musikstück vorgetragen, das über 3 Wochen rund 30.000 Zugriffe erbrachte.
Lege man mit 0,50 € den geringsten Betrag der erwähnten Rahmenvereinbarung zu Grunde, so ergebe sich die Klageforderung der Höhe nach bereits dann, wenn auf die jeweiligen Titel 400 Mal illegal zugegriffen worden ist. Es sei indes davon auszugehen, dass auch bei Zugrundelegung gebotener Abschläge jedenfalls in dieser Größenordnung Zugriffe erfolgt sein werden.
Außerdem sei für den Zeitpunkt der Rechtsverletzung festgestellt worden, daß 680.274 Teilnehmer des Filesharing-Systems aktuell online waren. Zu berücksichtigen sei auch der für den Streitfall wesentlich längere Zeitraum von etwa sechs Monaten, so daß sich auch bei einer sehr zurückhaltenden Schätzung der Nutzungsdauer der Filesharing-Programme Zeiträume ergeben, die den Zeitraum aus dem vorgetragenen Test bei weitem überschreiten. Angesichts des Zeitraumes von über sechs Monaten, in denen die Tauschbörse einer unbekannten Zahl von Nutzern die Möglichkeit eröffnete, auf den PC des Sohnes der Beklagten zum Zwecke des Herunterladens der damals attraktiven Titel zuzugreifen, sei nach Meinung des OLG Köln von einer hinreichenden Anzahl von Zugriffen auszugehen, die auf der Grundlage der vorgelegten Rahmentarife die Bestimmung des Schadensbetrags in Höhe von 200,00 € gemäß § 287 ZPO rechtfertigten.

Hinsichtlich der Abmahnkosten sei irrelevant, daß die Klägerinnen bei der Abmahnung ihre Aktivlegitimation nicht hinreichend dargelegt hätten. Denn die Berechtigung der Abmahnung setzte nicht voraus, daß sämtliche Tatsachen, auf die sie gestützt war, im Einzelnen belegt waren; die Wirksamkeit einer Abmahnung hänge nicht davon ab, daß auch Beweismittel vorgelegt werden. Außerdem hätten die Beklagten trotz der im Prozeß erhobenen Einwände auf die Abmahnung hin eine Unterlassungserklärung abgegeben; das OLG verwies hier auf sein Urteil vom 22.7.2011[4]. Das gleiche galt hinsichtlich des Einwands, daß die Prozeßbevollmächtigten der Klägerinnen diesen ihr Honorar auf Grundlage einer unwirksamen Erfolgshonorarvereinbarung berechnen würden, denn die Klägerinnen hätten durch den Klageauftrag deutlich gemacht, daß sie sich zur Bezahlung des Honorars verpflichtet ansahen.
Auch der der Honorarberechnung zugrundegelegte Gegenstandswert von insgesamt 200.000 € sei nicht zu beanstanden. Denn maßgeblich sei das Interesse der vier Klägerinnen an der Unterbindung weiterer Rechtsverletzungen. Entsprechend der früheren Rechtsprechung des OLG Köln hat es dieses auf 50.000 € pro Kläger auch unter Berücksichtigung des Umstandes festgesetzt, daß der Gefährdungsgrad hinsichtlich einer nochmaligen Rechtsverletzung durch Teilnahme an Tauschbörsen nicht mit der Anzahl der festgestellten Verstöße mathematisch linear steige. Aber angesichts der Vielzahl von 1147 Musiktitel, deren öffentliche Zugänglichmachung die vier Klägerinnen mit der Abmahnung beanstandet haben, sei die Abrechnung nach einem Gegenstandswert von 200.000 € nicht zu beanstanden.

Kommentar

Nachdem die Rechtsprechung sukzessive die Anforderungen an die Beaufsichtigung der minderjährigen Kinder herausgearbeitet hat, deren Erfüllen durch die Eltern sicherstellt, nicht wegen Verletzung der Aufsichtspflicht haftbar gemacht zu werden, werden in entsprechenden Schadensersatzprozessen regelmäßig derartige überwachende Maßnahmen behauptet, um der Unsicherheit zu entgehen, ob es das Gericht im konkreten Fall mit einer bloßen Belehrung genügen läßt oder wie hier regelmäßige Kontrollen fordert. Den Rechteinhabern ist naturgemäß nicht möglich, diese Behauptungen zu widerlegen. Gleichwohl erscheint es wenig wahrscheinlich, daß die Eltern wie es beispielsweise in diesem Verfahren behauptet wurde monatlich den PC des Kinder überprüfen. Tatsächlich wird es eher der Wahrheit entsprechen, daß Eltern ihre Kinder weitgehend unkontrolliert ins Netz lassen, zumal die Mehrzahl der Eltern nicht genügend Kenntnisse für diese Kontrolle besitzt. Hinzu kommt, daß kaum zu erklären ist, wie es trotz dieser angeblichen Kontrolle zu der Teilnahme am Filesharing-System kommen kann. Dieser nicht unangebrachten Skepsis an allzu offensichtlich an der einschlägigen Rechtsprechung orientierten Behauptungen von verklagten Eltern ist es sicherlich auch zu verdanken, daß das OLG Köln hier wenig verklausuliert zu verstehen gibt, daß diese Angaben als wenig glaubhaft erscheinen. Allerdings muß eine Kontrolle der installierten Software nicht zwingend zur Entdeckung der Filesharing-Programme führen, denn viele Programme erfordern keine diesem Sinne feststellbare Installation.
Durchaus angreifbar sind dagegen die Ausführungen zum Nachweis der Aktivlegitimation der Klägerinnen. Denn wenn diese Handels-Datenbank den Beklagten nicht zugänglich ist, dann sind sie berechtigt, deren Inhalt und auch dessen Richtigkeit mit Nichtwissen zu bestreiten.
Gegen die Feststellung der Tathandlung gibt es dagegen nichts zu erinnern. Die Feststellung der IP-Nummer in Verbindung mit den geständnisartigen Erklärungen des Sohns der Beklagten sowie den bei der Durchsuchung festgestellten Tatsachen genügen jedenfalls, um den Beklagten die Beweislast für das Gegenteil aufzuerlegen.
Auch die Schätzung des Schadensersatzes im Wege der Lizenzanalogie überzeugt, insbesondere auch, daß ein aktuelles Musikstück in einem Zeitraum von sechs Monaten wenigstens 400 mal downgeloaded wird.
Demgegenüber erscheinen auch hier die Ausführungen zur Bemessung des Gegenstandswerts der Abmahnung falsch. Denn zutreffenderweise hat das OLG etwa bei der Aktivlegitimation der Klägerinnen darauf abgestellt, daß sich diese nur auf die mit der Klage genannten 15 Musikdateien beziehen muß und nicht auf sämtliche 1.147 festgestellte Musikdateien. Da nur die Kosten einer berechtigten Abmahnung geltend gemacht werden können, muß die Aktivlegitimation hinsichtlich aller dieser Titel bewiesen werden, wenn diese zur Begründung des Gegenstandswerts herangezogen werden. Ist dagegen die Aktivlegitimation nur hinsichtlich 15 Musikdateien festgestellt, so können nur diese 15 Dateien zur Begründung des Gegenstandswert herangezogen werden. Demnach hätte hier der Gegenstandswert nach den vom OLG verwendeten Maßstab nur auf etwa 700,- € je Klägerin festgesetzt werden dürfen.

Allerdings ist in diesem Rechtsstreit das letzte Wort noch nicht gesprochen. Das OLG Köln hat nämlich die Revision zum BGH zugelassen, weil eine höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage der Schadensberechnung bei urheberrechtswidriger Nutzung von Musiktiteln durch Teilnahme an einer Tauschbörse im Internet noch nicht vorliege.

[1] Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 21.12.2009, Aktenzeichen 6 U 101/09
[2] Landgericht Köln, Urteil vom 30. März, Aktenzeichen 28 O 716/10
[3] Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 23. März 2012, Aktenzeichen 6 U 67/11
[4] Oberlandesgericht Köln, Urteil vom 22. Juli 2011, Aktenzeichen 6 U 208/10

RAuN und FA IT-Recht Dr. M. Michael König / Der Autor ist Rechtsanwalt und Notar in Frankfurt am Main sowie Fachanwalt für Informationstechnologierecht
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