DR. KÖNIG & COLL.

RECHTSANWÄLTE


Abhandlung zum EDV-Recht

Das Computerprogramm im Recht

von RA Dr. M. Michael König

C. I. 2. e) dd) Künstliche Intelligenz

Ein Teil der Rechtsprechung geht in der Betonung des "geistigen" Inhalts der Computerprogramme soweit, diese als "künstliche Intelligenz" zu bezeichnen[135]. Dies beruht sowohl auf einer Fehlinterpretation der von Teilen der Literatur verwendeten Programmdefinition als "Anweisungen und Befehle an eine Maschine, wie diese ein Problem im einzelnen zu lösen habe"[136], die den Eindruck entstehen läßt, als würde der Rechner das jeweilige Problem durch die gegebenen Anweisungen erkennen, diese reflektieren und das Problem aus eigener Erkenntnis lösen, als auch der Verkennung des rein technischen Charakters von Computerprogrammen. Unabhängig von den oben[137] bereits dargelegten Argumenten gegen die herkömmliche Definition von Computerprogrammen ist diese Definition wegen der Gefahr von Mißverständnissen zu vermeiden[138].

Könnte man bestimmte Computerprogramme unabhängig von diesem Irrtum tatsächlich als "künstliche Intelligenz" bezeichnen, so müßten diese als Immaterialgüter verstanden werden.
Fraglich ist jedoch, nach welchen Kriterien das Vorliegen einer "künstlichen Intelligenz" zu beurteilen ist[139].

(1) Arbeitsergebnis

Bei unvoreingenommener Betrachtung scheint das nachfolgende "Weihnachtsgedicht" von einem denkenden und fühlenden Geist geschaffen worden zu sein:

	DER SCHNEE IST KALT
	UND JEDER FRIEDE IST TIEF
	UND KEIN CHRISTBAUM IST LEISE
	ODER JEDE KERZE IST WEISS
	ODER EIN FRIEDE IST KALT
	ODER NICHT JEDE KERZE IST REIN
	UND EIN ENGEL IST REIN
	UND JEDER FRIEDE IST STILL
	ODER JEDER FRIEDE IST WEISS
	ODER DAS KIND IST STILL
	EIN ENGEL IST UEBERALL

Dieser Eindruck täuscht jedoch, denn dieses "Gedicht" wurde nicht von einem Menschen verfaßt, sondern entstand als Ergebnis des Ablaufs eines Programms[140]. Intelligenz war bei Erstellung des Programms erforderlich; der Rechner selbst war beim Lauf des Programm nicht "geistig tätig": Das "Gedicht" entstand aufgrund einer zufälligen Verknüpfung vorgegebener Begriffe, die nach der Regel für den Satzaufbau "(Quantor) (Subjekt) IST (Adjektiv) (Trennzeichen)" zufällig ausgewählt und verbunden wurden[141]. Selbstverständlich stellt dieses "Gedicht" die Positivauslese der Ergebnisse des Programmlaufs dar; es bedarf nicht viel Fantasie, um sich den Unsinn vorzustellen, der bei der nur zufälligen Verknüpfung bestimmter Worte entsteht. Bereits dieses Beispiel zeigt, daß allein das aus der Abarbeitung eines bestimmten Programms resultierende Ergebnis nicht zur Begründung einer "künstlichen Intelligenz" herangezogen werden kann.

(2) Arbeitsprozesse

Die Forschung auf dem Gebiet der "künstlichen Intelligenz" verfolgt zwei unterschiedliche Ziele: Die Simulation von menschlicher Intelligenz auf dem Computer - simulation approach - und der Bau von Computern, die Aufgaben erledigen können, zu denen der Mensch Intelligenz einsetzt - engineering approach[142]. Es ist jedoch bereits im Grundsatz umstritten, ob es überhaupt möglich sein kann, menschliche Intelligenz maschinell nachzubilden. Während eine Auffassung in Computern lediglich normale Maschinen sieht, deren gesamte Funktionen lediglich aus dem jeweiligen Programm resultieren, hält es die Gegenmeinung grundsätzlich für möglich, durch ein organisiertes und hinreichend komplexes System Intelligenz zu bilden: Wenn die heutigen Computer nicht besonders "intelligent" erscheinen, so liege das zum einen an technischen Unzulänglichkeiten, denn zwischen Computern und dem menschlichen Gehirn bestünden hinsichtlich der Komplexität gewaltige Unterschiede, und zum anderen daran, daß die grundlegenden, beim Denken ablaufenden Vorgänge noch nicht richtig verstanden würden[143].
Könnte man die menschlichen Denkvorgänge nachbilden, so wäre zu erwägen, ob man diesem so funktionierenden System in toto einen immateriellen Wert zugestehen müßte. Zwar stellt die Entwicklung der "Fünften Generation" von Computern infolge der damit verbundenen Parallelverarbeitung[144] einen Weg in diese Richtung dar, denn auch im menschlichen Gehirn können mehrere Denkprozesse zu derselben Zeit ablaufen. Auch wenn man Parallelen zwischen dem Funktionieren des menschlichen Gehirns auf der Neuronenebene, also der Organisation der Nervenzellen, und den grundlegenden elektronischen Vorgängen in einem Computer ziehen will, wird doch nicht bestritten, daß es weder heute noch in naher Zukunft möglich sein wird, eine auch nur im Ansatz intelligente Maschine zu konstruieren[145].
Im Ergebnis führen also auch die Vorgänge beim Ablauf eines Programms weder zum Beweis noch zur Existenz einer "künstlichen Intelligenz".

(3) Programm

Auch das Computerprogramm selbst stellt unabhängig von der zur Herstellung erforderlichen Leistung keine "künstliche Intelligenz" dar. Bezeichnend für die Großzügigkeit, mit der allgemein dieses Attribut verliehen wird, ist z.B. die entsprechende Qualifizierung einer Steuerelektronik für eine Getriebeautomatik, deren Besonderheit lediglich darin besteht, neben der Fahrzeuggeschwindigkeit und Motordrehzahl auch den Drosselklappenwinkel einschließlich Stellgeschwindigkeit sowie die Fahrzeuglängs- und -querbeschleunigung zu berücksichtigen[146]. Es dürfte offensichtlich sein, daß weder umfangreiche Regelschaltungen bzw. -programme noch Rechnersteuerungen auch nur entfernt etwas mit "künstlicher Intelligenz" zu tun haben. Solange Computerprogramme Vorgänge im Inneren eines Rechners steuern, sind sie nichts anderes als - ggfs. hochkomplizierte - technische Werkzeuge. Hieran vermag auch die Entwicklung der "Fünften Generation" von Computern nichts ändern, denn auch diese Rechner erfordern naturgemäß körperliche Programme zur Steuerung. Dies verkennt hingegen Moritz, wenn er es als möglich erachtet, daß die zu den Rechnern der "Fünften Generation" erforderlichen Programme eine andere rechtliche Beurteilung erfordern könnten[147].

(4) Expertensysteme

Ein Teil der "künstlichen Intelligenz", nämlich die sogenannten Expertensysteme, könnten eine abweichende Beurteilung erfordern.
Expertensysteme sind Computerprogramme, die in der Lage sind, Probleme in Bereichen zu lösen, für deren Lösung menschliche Erfahrung - Expertise - erforderlich ist. Auch hier darf der Begriff "Problemlösung" nicht in dem Sinne verstanden werden, wie er im Zusammenhang mit menschlicher Denktätigkeit verstanden wird. Zwar simuliert ein Expertensystem, anschaulich formuliert, einen Experten für ein bestimmtes Wissensgebiet; dies geschieht jedoch lediglich durch maschinelle Anwendung vorgegebener Verknüpfungsstrategien auf ebenfalls vorgegebenes Wissen. Dies beschreibt zugleich die wesentlichen Teile eines solchen Expertensystems, nämlich die Inferenzmaschine, auch Shell genannt, und die Wissensbasis, auch als Datenbasis bezeichnet[148].
Hinsichtlich des eigentlichen Programms, nämlich der Shell, gelten die erfolgten Ausführungen: Es handelt sich um ein Computerprogramm, welches die internen Abläufe eines Computers steuert. Es besteht kein Unterschied zu anderen Computerprogrammen[149]; die Shell ist daher körperlich.
Ob mit Hoeren auf eine Differenzierung zwischen Shell und Datenbasis verzichtet und das gesamte Expertensystem hinsichtlich des enthaltenen Know-how mit komplexen Industrieanlagen verglichen und als Sache angesehen werden kann[150], ist jedoch zweifelhaft. Einerseits muß zwar auch die Datenbasis körperlich vorliegen, da sie ansonsten im Expertensystem nicht vorhanden ist, andererseits dient sie nicht unmittelbar der Steuerung des Rechners. Man könnte die Datenbasis mit anderen, für die menschliche Denktätigkeit bestimmten Daten vergleichen, die lediglich wegen der vorteilhafteren Zugriffsmöglichkeit maschinenlesbar verkörpert sind und insofern nicht anders behandelt werden dürfen, als von Menschen unmittelbar erfaßbare Daten: Auch ein herkömmliches Datenbankprogramm erfüllt letztlich seine Funktion nur dann, wenn die Datenbank selbst vorhanden ist. Da es weiterhin rechtlich nicht erheblich sein darf, ob Wissen und Informationen, also allgemein Daten, in herkömmlicher gedruckter Form oder maschinenlesbar durch Einsatz entsprechender Programme dem Menschen zugänglich gemacht werden[151], müssen maschinenlesbare Datensammlungen wie Druckwerke[152] und ebenso wie diese bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen auch als Know-how behandelt werden.
Dieses Ergebnis hat jedoch keine Auswirkungen auf den Gegenstand dieser Untersuchung, nämlich den Sachcharakter von Computerprogrammen; diese sind gleich welchen Verwendungszweckes körperliche Gegenstände.

ee) Ergebnis

Als Ergebnis ist somit festzuhalten, daß Computerprogramme körperlich sind und die Bedeutung der Verkörperung nicht hinter einem immateriellen Wert zurücktritt. Computerprogramme unterscheiden sich also in dieser Hinsicht nicht von irgendeinem anderen technischen Erzeugnis[153]. Wenn die h.M. demgegenüber meint, Software sei ein geistiges Gut, das zur Ermöglichung der Nutzung einer Verkörperung bedürfe ohne hierdurch zu einer Sache zu werden[154], so trennt sie nicht streng genug zwischen Konstruktionsidee und - leistung einerseits und dem körperlichen Arbeitsergebnis andererseits. Die h.M. verkennt weiterhin, daß Immaterialgüter zur Verwertung und Nutzung gerade keiner Verkörperung bedürfen, sondern die Erforderlichkeit einer körperlichen Form gerade Merkmal der körperlichen Gegenstände ist. Da die Körperlichkeit weder von dem Verwendungszweck noch davon abhängt, ob das Programm speziell für einen Anwender gefertigt wurde oder Massenware darstellt, ist für eine unterschiedliche Behandlung von Standard-, Individual-, System- oder Anwenderprogrammen kein Raum.

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135) BFH III R 49/83 v.5.2.88 BStBl II 88,737; zur Geschichte der "Künstlichen Intelligenz" vgl. Manhart c't 3/91,32ff
136) so Hauter CR 87,580,581; Kindermann ZUM 85,2; Moritz Rdnr.101; vgl. BFH aaO
137) oben bei B.III.2. Rdnr.150ff
138) vgl. König DB 89 Beil.13,26,27; ders. CR 89,372,374f; ders. CR 90,106,107; kritisch auch v.Hellfeld GRUR 89,471f
139) Nach der bekannten, 1947 veröffentlichten Hypothese des Mathematikers Alan M. Turing soll eine Maschine dann als intelligent gelten, wenn ein Mensch, der mit der Maschine lediglich über einen Fernschreiber kommuniziert, nach einem Gespräch beliebigen Inhalts den Eindruck gewonnen hat, daß ihm ein Mensch geantwortet hat - der sogenannte "Turing-Test". Es existiert bereits ein Computerprogramm, das einen modifizierten Turing-Test bestanden hat: Das von dem amerikanischen Psychiater K. M. Kolby entwickelte Programm PARRY simuliert so erfolgreich einen paranoiden Patienten, daß keiner der mit diesem Programm kommunizierenden Psychiater bemerkte, "lediglich" einen Computer bzw. ein Computerprogramm zu diagnostizierten: Manhart c't 3/91,32,34.
140) Programm von R. Gunzenhäuser, Gedicht zitiert nach Knödel Bild der Wissenschaft 67,365,368
141) Quantor: "weder", "ein", "kein"... / Subjekt: "Schnee", "Christbaum", "Engel" ... / Adjektiv: "still", "tief", "weiß" ... / Trennzeichen: "und", "oder", "." ...; vgl. Knödel aaO
142) Schneider H.-J. 299
143) Selters DOS 9/88,68,69
144) vgl. oben bei A.V.1. Rdnr.58; eine andere Möglichkeit, der Simulation menschlicher Verhaltens- und Denkweisen näher zu kommen, stellt die Verwendung der Fuzzy-Logik dar, die mit dem Verzicht auf klare Alternativaussagen wie "richtig" und "falsch" bewußt Ungenauigkeits- und Zufälligkeitseffekte einbezieht, vgl. v.Altrock c't 3/91,188ff; Weigele FAZ 68/90,N1
145) vgl. Selters aaO S.69f; skeptisch daher auch Junker Rdnr.45; abwegig hingegen Heussen, der "in naher Zukunft ... sehr handfeste Interaktionen zwischen Anwender und Software" erwartet, wobei "der Computer ... den Bediener zum Mittanzen zwingen" werde: Heussen GRUR 87,779,781
146) Spira FAZ 265/89,T6. Ein anderes Beispiel ist ein Fahrstuhl (Aufzug), dessen "künstliche Intelligenz" darin besteht, die Fahrströme, also Aufzugsbewegungen, der jeweils letzten zehn Tage zu speichern und die Bewegungen der einzelnen Aufzüge hiernach zu optimieren: FAZ 129/90,22. Als "intelligent" werden auch Linsen bezeichnet, die lediglich nach einem neuen Fertigungsverfahren hergestellt sind, bei dem viele Schichten pulverisierten Glases mit verschiedenen Brechungsindices verschmolzen werden: Behrendt FAZ 199/90,T6. Schließlich sollen Fenster "intelligent" sein, deren Wärmedurchlässigkeit infolge einer elektrochromen Beschichtung durch eine elektrische Spannung gesteuert werden kann: Küffner FAZ 223/90,T1. Kritisch zu der großzügigen Verwendung des Attributs "Intelligenz" auch Küffner FAZ 229/90,T1.
147) Moritz Rdnr.30
148) vgl. Klar mc 8/89,64f; auch Hoeren Rdnr.120 sowie Koch/Schnupp CR 89,776ff
149) so auch Koch/Schnupp aaO S.
150) Hoeren Rdnr.121
151) dies verkennt der BFH, der allein wegen der Maschinenlesbarkeit der Daten ein immaterielles Wirtschaftsgut annehmen will: BFH III R 38/84 v.2.9.88 BStBl.II 89,160f; hiergegen König DB 89 Beil.13,26,28f; ders. CR 90,106,109f
152) vgl König aaO
153) Hier irrt auch der BGH in seiner ansonsten die Sacheigenschaft von Computerprogrammen bejahenden Entscheidung, wenn er in Erwägung zieht, daß die Gewährleistung für Programmfehler idR den immateriellen Teil der Leistung beträfe, denn der Fehler des "immateriellen" Teils wird bei anderen Produkten als Konstruktionsfehler bezeichnet, ohne daß hieraus die Unkörperlichkeit dieser Produkte abgeleitet werden würde. Interessanterweise begründet der BGH mit dem Hinweis auf eine Ähnlichkeit zu Konstruktionsfehlern die Nichtvergleichbarkeit von Programmen mit Erfindungen: BGH VIII 314/86 v.4.11.87 NJW 88,406,408.
154) vgl. die Nachweise oben bei I.2.a) Rdnr.258 in FN17

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Dies ist ein Auszug aus dem beim Verlag Dr. Otto Schmidt KG erschienenen Buch "Das Computerprogramm im Recht". Es gibt die Rechtslage und Meinung des Verfassers zum Zeitpunkt der Veröffentlichung wieder.

Das Buch ist mittlerweile bis auf wenige Restexemplare vergriffen und nicht mehr über den Buchhandel erhältlich. Diese Restexemplare können beim Autor bestellt werden.

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